"Uns reicht's"! Wäre der Ausstieg
aus dem KV-System eine
Alternative?
Sind Korbmodelle, Vertragsgemeinschaften
oder eine Hausarzt-KV ein Ausweg aus dem
"Hamsterrad"? (Text aus Wahlaussendung
2016)
Wie möchten Sie eigentlich arbeiten? Wir wünschen uns
Zeit für unsere Patienten, damit wir uns auch menschlich
ihnen auseinandersetzen können. Wir wollen uns auf
unsere ärztliche bzw. therapeutische Arbeit
konzentrieren können und dabei möglichst unbelastet von
Bürokratie und Buchhaltung sein. Patienten sollten nur
dann den Arzt aufsuchen (müssen), wenn sie wirklich
krank sind. Bei der Dokumentation würden wir uns gerne
auf das medizinisch notwendige beschränken. Um
auskömmlich von unserer Arbeit leben zu können, sollte
die Qualität unserer Versorgung und nicht die Menge der
"durchgeschleusten" Patienten ausschlaggebend sein. So
oder so ähnlich würden sicher die meisten die
Eingangsfrage beantworten.
Nun sieht unsere berufliche Realität leider oft anders aus.
Viele Kollegen klagen über den starken Einfluss der
Krankenkassen und eine bürokratische Regelungswut, die
gern den Kassenärztlichen Vereinigungen zugeschrieben
wird. Manchmal hat man den Eindruck, dass wir unser
Einkommen eher durch ein "Upcoding" der Diagnosen als
durch gute medizinische Versorgung verbessern können.
Obendrein wird die Verteilung der Honorare innerhalb der
Ärzteschaft von vielen als ungerecht empfunden.
Auch wenn die meisten Ärgernisse sicher politischen
Entscheidungen und nicht der Selbstverwaltung
zuzuschreiben sind, wird in der öffentlichen Debatte ein
ganzer oder teilweiser "Ausstieg" aus dem "KV-System"
als Königsweg zu einer besseren Zukunft beschrieben.
Dabei werden verschiedene Möglichkeiten verfolgt:
Das "Korbmodell": Über eine massenhafte
gemeinsame Rückgabe der Kassenarztzulassungen
sollte ein Umstieg auf ein generelles
Kostenerstattungsverfahren erzwungen werden. So
sollte niemand mehr "unbezahlte" Leistungen
erbringen müssen. Allerdings kamen selbst in
Bayern, wo mit zahlungskräftigen Kassenpatienten
gerechnet werden könnte, niemals genug
Rückgabewillige zusammen. In ärmeren Teilen
Deutschlands gehen viele Ärzte offenbar nicht
davon aus, dass ihre Kassenpatienten in der Lage
sind, die Kosten der ärztlichen Versorgung im
jetzigen Umfang vorzustrecken.
Selektivverträge: Berufsverbände (bzw. von diesen
gegründete Vertragsgemeinschaften) oder
Ärztegenossenschaften übernehmen den
Versorgungsauftrag und rechnen mit einzelnen
Krankenkassen die Honorare ihrer Mitglieder direkt
ab. Musterbeispiele sind die Hausarztverträge der
HÄVG in Bayern und Baden-Württemberg. Das ist
vor allem für die Verbände äußerst lukrativ, können
sie doch Pauschalen kassieren, während die
unangenehmen Kontroll- und Verwaltungsaufgaben
trotzdem bei den KVen bleiben. Die Ärzte müssen
daher allerdings sowohl die Verbände als auch die
KV weiter aus ihrem Honorar finanzieren. Auch vor
Regressen schützen die Selektivverträge nicht: So
erwirkte die AOK Bayern Millionenrückzahlungen
von Teilnehmern der dortigen Hausarztverträge.
"Hausarzt-KV": Auch wer nicht ganz aus dem
System aussteigen möchte, sieht gern in der
Aufteilung der Versorgungsbereiche die Wurzeln
seiner Misere. So wird von starken Verbänden
sowohl unter den Hausärzten als auch den
Fachärzten gern gegeneinander polemisiert und
eine weitgehende Spaltung der Selbstverwaltung in
eine hausärztliche und eine fachärztliche KV
gefordert. Die Forderung nach einer Spaltung der
KVen verkennt, dass sich die Interessenlagen
innerhalb der Ärzteschaft nur selten entlang der
Grenze der haus- und fachärztlichen
Versorgungsbereiche trennen lassen. In beiden
Lagern gibt es Gewinner und Verlierer des Systems.
Auch sind seit Jahren die Honorarkonten der Haus-
und Fachärzte in allen KVen strikt und transparent
getrennt. An Abstimmungen, die nur einen Bereich
betreffen, beteiligen sich auch jetzt nur dessen
Vertreter. In der KBV muss nach der neuesten
Gesetzeslage sogar durch Stimmgewichtung eine
rechnerische Haus-/Facharzt-Parität hergestellt
werden.
Was die Kritiker des "KV-Systems" nicht beantworten
können: Warum sollten einzelne Gruppen von Ärzten in
Verhandlungen mit den Krankenkassen über die Höhe des
Gesamthonorars und die Rahmenbedingungen bessere
Ergebnisse erzielen können als die KVen? Je größer die
Ärztegruppe und je komplexer das Gesamtpaket, desto
mehr Druck kann auf die Kassen ausgeübt werden!
Ausnahmen bilden höchstens kleine hochspezialisierte
Arztgruppen und politische Sondersituationen wie bei den
Hausarztverträgen im Süden. Insgesamt würden nach
einem Ende der gemeinsamen KVen auf Ärzteseite nur
viele kleine Verhandlungspartner immer weiter
fusionierenden Kassen mit völlig unveränderter
Interessenlage gegenüber stehen.
Solange es obendrein bei keiner politischen Partei den
Willen zu einer grundsätzlichen Veränderung des
ambulanten Versorgungssystems in Deutschland gibt,
haben wir Ärzte auch in der Politik keine verlässlichen
Partner. Der sehnsüchtig-idealisierende Wunsch gerade
vieler Hausärzte, sich den Primärarztsystemen der
Niederlande oder Skandinaviens anzunähern, wo ja alles
(vor allem für die Ärztin und den Arzt) besser sei, ist vor
diesem Hintergrund völlig unrealistisch.
Wir glauben, dass es derzeit in unserem eigenen
Interesse keine Alternative zur Vertretung der Ärzte
und Psychotherapeuten in den gemeinsamen
Kassenärztlichen Vereinigungen gibt. Das heißt jedoch
nicht, dass diese nicht besser werden können! Sie
haben es in der Hand - durch die demokratische Wahl
Ihrer Vertreterinnen und Vertreter in der KV.